Wolfsskulpturen in Kassel
Liebe Kasselerinnen und Kasseler,
wir trauern um Walter Lübcke. Er hat getan, was Immanuel Kant an aufgeklärten Patrioten am meisten liebte: Pflichterfüllung. Herr Lübcke wurde von einem rechtsradikalen Attentäter regelrecht hingerichtet. Unklar ist noch, ob der Täter einem Terrornetzwerk angehörte und ob dieses Netzwerk weitere
Mordtaten plante. Was wir wissen ist aber: Es gibt einen inneren
Zusammenhang von Hetze, Hass und Gewalt.
AFD-Bundestagsabgeordnete sprechen von „Umvolkung“ der Deutschen, die AFD postet auf ihrer offiziellen Facebook Seite:
„Widerliche Entwicklung: Merkel opfert unsere Jugend“ und die AFD Oder-Spree, dort hat Alexander Gauland seinen Wahlkreis, verkündet: „Wir wollen als deutsche Rasse überleben. Wir wollen weiß sein dürfen.“.
Rechtsradikale Netzwerke gehen weiter und stoßen unverhohlen Morddrohungen aus. Tausendfach werden bei Facebook und
Instagram Pistolen und Handgranaten mit Kommentaren wie „Wir werden euch holen.“ gepostet.
Hetze und Hasspropaganda bewirken in den sozialen und realen Netzwerken eine Umwertung der Werte und eine jedweder Rechtsstaatlichkeit entbundene Moral. Letztlich entsteht „Wolfsmoral“ (Thomas Hobbes).
Wolfsmoral vergiftet in den sozialen und realen Netzwerken das Denken, senkt die Schwellen des Sagbaren und tritt später vom Denken in die Wirklichkeit. Um es mit Hegel zu sagen: „Ist erst das Denken verändert, hält die Wirklichkeit nicht stand.“
Die NSDAP sprach vom „Volk ohne Raum“ und dem „Verrat der Novemberverbrecher“. Die AFD verkündet, die Altparteien hätten das Volk verraten und propagiert: „Wir holen uns unser Land zurück.“.
Wenn die deutsche Jugend von Vergewaltigern und Messer-
stechern bedroht ist, wird für gewaltbereite Neo-Nazis die Jagd auf Ausländer zur „patriotischen Tat“. Und wenn „die Deutschen“ durch „Umvolkung“ vor der vermeintlichen Ausrottung stehen, generiert ein Mord an „Systempolitikern“ zum „Dienst am Deutschen Volk“. In Deutschland gibt es laut Verfassungsschutzbericht fast 13.000 gewalt-
bereite Neo-Nazis.
In einem offiziellen Statement der Bundes-AFD lesen wir: „Flüchtlingskanzlerin Merkel“ hat „ Mörder und Vergewaltiger“, „den Abschaum anderer Länder“, nach Deutschland eingelassen und „arbeitet schon daran, die nächsten Millionen ins Land zu holen, um sie auf die Bevölkerung loszulassen. Sie ist die Kanzlerin des Untergangs…“.
Hätte Kanzlerin Merkel keinen Polizeischutz, wäre sie wahrscheinlich ebenfalls Opfer eines Attentates geworden. Die AFD ist nicht für den Mord an Herrn Lübcke verantwortlich, aber sie ist verantwortlich für Hasskampagnen, wie sie Deutschland nach 1945 nicht erlebt hat.
Demokratie und Rechtsstaat sind die größte Errungenschaft der Zivilisation. Der Rechtsstaat schützt die Rechte der Einzelnen, muss aber auch gegenüber den Feinden der Demokratie wehrhaft sein. Wir müssen Hasspropaganda, Gewaltaufrufe und Morddrohungen durch härtere Strafen eindämmen, wichtiger noch ist aber die Eindämmung durch die zivile Gesellschaft.
Ein weiteres ist: Facebook, Instagram, YouTube und andere bieten Hass- und Gewaltpropaganda eine Plattform. Das Internet droht zu einer Hassspelunke und Pöbelkammer zu verkommen. Verbreitet eine Zeitung einen Mordaufruf, kann sie belangt werden, die Internetkonzerne hingegen tun so, als haben sie mit dem Hass im Netz nichts zu tun. Meiner Auffassung nach ist es an der Zeit das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu novellieren. In der bestehenden Fassung dieses Gesetzes haben Staat und Gesellschaft die Rechtsdurchsetzung an die Internetkonzerne abgetreten, diese entscheiden selber was gelöscht wird.
Überdies kann der Rechtsstaat oft nicht strafverfolgend tätig werden, da die
Internet-Akteure nur sehr begrenzt auskunftpflichtig sind. Aber auch hier gilt, am wichtigsten ist republikanischen Patriotismus. Wir Deutschen müssen wieder politischer werden. Politik ist kein schmutzige Geschäft sondern die Gestaltung der übergreifenden rechtlichen und ökonomischen Ordnungen. Wir müssen die Hasser durch Langmut und Argumente besiegen und zugleich Bedingungen schaffen, unter denen niemand mehr Hassen muss.
Ich demonstriere seit 3 Jahren mit meinen Wölfen („Die Wölfe sind zurück?“) gegen Hass und Gewalt. Die Wölfe standen an über 15 Orten, u.a. in Dresden vor der Frauenkirche, in Berlin gegenüber des Reichstags und in Chemnitz dort, wo Neonazis Ausländer jagten und öffentlich und ohne Scheu den Hitlergruss zeigten. Heute, am 16. Juli 2019, stehen 8 meiner 80 Wölfe in Kassel auf dem Königsplatz. Ich gedenke eines Menschen, der trotz hundertfältiger Anfeindungen den Rechtsradikalen Paroli geboten hat. Der Platz ist gut gewählt, Walter Lübcke war ein
König der Menschlichkeit.
Kurz zu der Wolfs-Installation: Die Wölfe heißen Mitläufer, blinder Hasser, blinder Krieger und Anführer. Zwei „Wolfsmenschen“ haben Pistolen in der Hand. Wie heißen die? Hassmörder? Die Wölfe wurden vor 4 Jahren gegossen.Ich habe Banner mitgebracht, auf denen steht: „Wölfe bitte nicht füttern“, Wo gehetzt wird, wird später auch getreten“, „Ohne Polizeischutz wäre auch Angela Merkel ein Opfer rechter Gewalt“.
Ich bringe aber nicht nur eine Botschaft, sondern auch etwas Handfestes. Ich habe dem Oberbürgermeister von Kassel Herr Christian Geselle 5.000 Euro als Spende für eine würdevolle
Gedenktafel an Walter Lübcke mitgebracht. Die Aufstellung einer Tafel setzt selbstredend das Einverständnis der Familie voraus. Sollte die Familie keine Tafel wünschen, geht das Geld in die Kasseler Jugendarbeit.
Als letztes: Ausgrenzen geht in die Leere. Wir müssen einen konstruktiven Dialog mit den rechtsnationalen Kräften führen. Hasspropaganda und Gewalt sind in diesem Dialog aber nicht zu tolerieren. Es gibt keine Alternative zum Gespräch. Der Riss, der durch das Land geht, tut unserer Nation nicht gut.
Vielen Dank für diese Aktion, das ist wirklich (hoffentlich!) aufmerksamkeitserregend, eindrucksvoll und vielleicht sogar ein Augenöffner für die Passanten. Die Entwicklung der letzten Jahre macht mir wirklich Angst. Ich möchte in keinem faschistischen, auch nicht in einem protofaschistischen Deutschland leben, in dem inszenierte Internet-Progrome und in die Tat umgesetzte Mordwünsche und Todesdrohungen an der Tagesordnung sind.